Da nahm Maria eine Flasche mit reinem, kostbarem Nardenöl und goß es über Jesu Füße. Johannes 12,3
Das ist ja mal wieder typisch. Eine exaltierte und übertrieben emotionale Schwester lässt sich gehen und gibt sich dem Strom ihrer Gefühle hin. Da gießt doch Maria tatsächlich einen ganzen Jahreslohn (!) in einem Augenblick über die Füße von Jesus. Man stelle sich das vor; das wären umgerechnet auf einen heutigen Durchschnittsverdienst rund 25.000,- bis 30.000,- Euro. In einem Augenblick. Davon hätte man endlich das neue Klavier für die Gemeinde kaufen und zusätzlich dem Pastor eine kleine Gehaltserhöhung gönnen können. Auch für die Mission wäre ein ordentlicher Betrag drin gewesen, ganz zu schweigen von den dringend benötigten Neuanschaffungen im technischen Bereich. Als ob ein paar Tropfen als kleine Parfumerfrischung nicht ausgereicht hätten. Zu dick aufgetragen ist es doch sowieso aufdringlich. Und in der Tat: im ganzen Haus verbreitete sich der schwere Duft dieser kostbaren Narde. Das ist doch übertrieben, einfach abgehoben !
Sicher würde bei vergleichbaren Aktionen heute dieselbe Kritik laut werden wie bei den Jüngern. Und doch lobt Jesus Maria. Er sieht in ihrem Handeln eine prophetische Tat auf seinen Tod hin. Also bleibt uns nichts anderes übrig als Jesus zuzustimmen und mit ihm zu betonen, dass Maria das doch ganz toll gemacht hat. Das ist ja auch nicht so schwer, denn die Geschichte ist zweitausend Jahre alt und betrifft uns nicht direkt. Aber ich bezweifle sehr, daß wir bei einem vergleichbaren, verschwenderischen Handeln eines unserer Gemeindeglieder immer noch auf Jesu Seite wären. Und darum müssen wir die Geschichte doch einmal näher betrachten. Und da wird rasch deutlich, was Maria von den Jüngern unterschied. Inmitten von nüchternen, sachlichen Männern, wagt sie das Skandalöse, Außergewöhnliche und läßt sich in ihrer leidenschaftlichen Liebe zu Jesus nicht bremsen. Nicht daß ich ein Freund von Gefühlsausbrüchen wäre, aber die Bereitschaft, ohne viel Nachzudenken, alles für Jesus zu geben, gleichgültig, ob der Einsatz „lohnt“ oder nicht, lässt mich nicht zur Ruhe kommen.
Ich erinnere mich, wie ich als junger Christ so voller Eifer war, daß ich mit einem Freund zusammen meinen Jugendpastor bat, uns von der Jugendstunde freizustellen, damit wir in Discos und Kneipen gehen könnten, um zu evangelisieren. Das taten wir dann auch und hatten beeindruckende Begegnungen mit Menschen und ergreifende Gespräche. Manches Mal konnten wir mit anderen beten und ihnen Mut machen, ihr Leben Christus anzuvertrauen. Und doch: „Gebracht“ hat es sichtbar nichts. Niemand veränderte dauerhaft sein Leben oder ging ab sofort in die Kirche. Das war für uns aber auch nicht die Frage. Wir wollten einfach unseren Glauben bezeugen ! Heute gehe ich da schon ganz anders ran. Wenn der Einsatz nicht zu lohnen scheint und mein Engagement keine sichtbaren Lebensveränderungen zu bringen scheint, bin ich zurückhaltend geworden. Zu viel Kraft und Energie ist im Laufe der Jahre auf dem harten Boden unempfänglicher Herzen abgetropft. Angesichts einer verbreiteten „Nichterfahrungsfrömmigkeit“ macht es Sinn, mit seinen Kräften zu haushalten, und doch wünsche ich mir diese Leidenschaft zurück, die zunächst mal nicht nach dem Ergebnis fragt sondern angetrieben wird von einer verschwenderischen Leidenschaft für Christus. Das kann ich von Maria neu lernen. Liebe fragt nicht nach dem Nutzen sondern wird bewegt von reiner Zuneigung. Solche Christen allein vermögen die Welt zu verändern.